Anzeiger 11/2020 – „Leuchtturm der österreichischen Literatur“

Österreichischer Buchpreis: Eine Institution der österreichischen Literaturszene feiert fünften Geburtstag im Corona-Jahr. Über den bisherigen Weg der Auszeichnung und den Aufbruch in die Zukunft.

Text: Lena Wechselberger

Die weltweite Pandemie hat auch vor dem Festakt für die Verleihung des Österreichischen Buchpreises keinen Halt gemacht. Österreich befindet sich im zweiten Lockdown, Veranstaltungen sind untersagt. Nicht nur die Feierlichkeiten zur Preisvergabe, sondern auch die Buch Wien in deren Rahmen Gewinnerinnen und Gewinner üblicherweise gemeinsam auftreten, konnten nicht stattfinden.

FÜNF JAHRE ÖSTERREICHISCHER BUCHPREIS
Trotz der erschwerten Umstände bleibt Anlass zum Jubeln: Der Österreichische Buchpreis feiert dieses Jahr sein fünfjähriges Bestehen. 2016 wurde er ins Leben gerufen, seitdem hat er gleichwohl die Leben vieler Autorinnen und Autoren verändert. Das Branchenhighlight fand am 9. November in abgeänderter Form statt: Die finale Jury­sitzung wurde online abgehalten. Per Presseaussendung wurde schließlich bekannt gegeben: Xaver Bayer gewinnt mit „Geschichten mit Marianne“ (Jung und Jung) den Österreichischen Buchpreis. Der Debütpreis geht an Leander Fischer für sein Werk „Die Forelle“ (Wallstein).
Ausgerichtet wird der Österreichische Buchpreis jährlich vom Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKOES) und dem Hauptverband des Österreichischen Buchhandels (HVB). Unterstützt wird er von der Arbeiterkammer Wien (AK Wien). Dabei wird das beste Werk einer österreichischen Autorin oder eines österreichischen Autors mit einem Preisgeld von 20.000 Euro ausgezeichnet, die anderen vier Titel auf der Shortlist werden mit 2.500 Euro prämiert. Auch der Debütpreis, dotiert mit 10.000 Euro, wird vergeben – die beiden Mitbewerberinnen oder Mitbewerber auf der Shortlist dürfen sich über eine Preissumme von 2.500 Euro freuen.

DAS ERGEBNIS VON ANGEBOT UND NACHFRAGE
Die Geburtsstunde des Österreichischen Buchpreises wurde bereits 2015 eingeläutet. Als beim damaligen Deutschen Buchpreis keine Schriftstellerinnen oder Schriftsteller aus Österreich nominiert wurden, forderte die Autoreninitiative in einem offenen Brief eine Veränderung.
Das Anliegen wurde erhört. Bereits im Frühjahr 2016 präsentierte der damalige Kulturminister Josef Ostermayer den Österreichischen Buchpreis. Seitdem kürt eine jährlich wechselnde Fachjury die Preisträgerinnen und Preisträger. Allein in diesem Jahr reichten 52 Verlage 98 Titel ein, für den Debütpreis bewarben sich 17 Verlage mit 19  Werken. Benedikt Föger, Präsident des HVB, fasst zusammen, was den Österreichischen Buchpreis vom verwandten Deutschen oder Schweizer Buchpreis abhebt. Besonders sei, dass das Buch „aus allen Genres sein kann und man bei allen Einreichungen jedes Jahr sieht, wie vielfältig und reichhaltig die österreichische Literatur ist“. Belle­tristische, essayistische, lyrische sowie dramatische Werke dürfen eingereicht werden. Außerdem ist es der einzige Buchpreis, „der auch mit der Debütkategorie junge Autorinnen und Autoren fördert und anerkennt“.
Der Debütpreis wird von der Arbeiterkammer Wien gestiftet. Präsidentin Renate Anderl ist dabei besonders daran gelegen, „Impulse und gezielte Unterstützung“ zu bieten, vor allem für „noch unbekannte Künstlerinnen und Künstler, deren Namen allein noch nicht die Kassen zum Klingeln bringen“.
Das Erfolgsrezept ist simpel, aber effektiv: „Beste Literatur“, fasst die Staatssekretärin für Kunst und Kultur Andrea­ Mayer zusammen. Deshalb habe sich der Österreichische Buchpreis in den vergangenen fünf Jahren nicht nur zu einem wichtigen Preis für die Verlags- und Buchbranche entwickelt, sondern stehe sowohl bei Autorinnen und Autoren als auch bei Leserinnen und Lesern hoch im Kurs.

ANERKENNUNG VON DER GANZEN BRANCHE
Aufgrund des Fehlens einer wortwörtlichen Bühne soll den Nominierten sowie den Gewinnern dieses Jahr stattdessen eine Plattform der Worte geboten werden. Laut HVB-Präsident Föger war die jährliche Preisverleihung bisher eine Chance, der Gewinnerin oder dem Gewinner „Anerkennung von Kollegenseite, von der ganzen Branche und auch vonseiten der Politik zu zollen“. Auf der Shortlist für den Österreichischen Buchpreis waren 2020 Helena Adlers Roman „Die Infantin trägt den Scheitel links“ (Jung und Jung), „Die Bagage“ (Carl Hanser) von Monika­ Helfer, der Roman „Putzt euch, tanzt, lacht“ (Otto Müller Verlag) von Karin Peschka, „Feenstaub“ (Picus) von Cornelia Travnicek und der Erzählband „Geschichten mit Marianne“ (Jung und Jung) von Gewinner Xaver Bayer vertreten.
Das Spektrum der nominierten Bücher steht für die Vielfältigkeit der österreichischen­ Literatur. In dieser Auswahl ist für jede Lesewütige und jeden Buchstabenenthusiasten etwas zum Schmökern dabei: ob Adlers Antiheimatroman, Helfers familiengeschichtliches Zeitpor­trät, Peschkas Aussteigergeschichte­, Travniceks märchenhaftes und gleichzeitig sozialkritisches Abenteuer oder Bayers Erzählungen im Sinne der literarischen Moderne. Die Debütpreis-Shortlist umfasste die Romane „Die Forelle“ (Wallstein) des Preisträgers Leander­ Fischer, „Über allem und nichts“ (Residenz Verlag) von Gunther Neumann sowie Mercedes­ Spannagels „Das Palais muss brennen“ (Kiepenheuer & Witsch). Bei einer breit gefächerten Auswahl wie dieser wird klar, wovon Staatssekretärin Mayer spricht, wenn sie die Vielfalt der österreichischen ­Literatur lobt: „Jede Autorin und jeder Autor ist eine eigene Welt und hat eine unverwechselbare Sprache.“

VON PREISTRÄGERN UND IHREN VERLAGEN
Was Xaver Bayer an seiner Auszeichnung besonders freut, ist, „auch für junge Schreibende ein Ansporn zu sein, dass man nämlich zum Schreiben eigentlich nur einen Stift in die Hand zu nehmen braucht“. Der 1977 geborene Wiener verfasste bereits Romane, Erzählungen und Theaterstücke. Laut Verlegerin Anna Jung vom Salzburger Jung und Jung Verlag gehört der freie Schriftsteller, der Philosophie und Germanistik studiert hat, „seit Jahrzehnten zum Größten, was die österreichische Literatur zu bieten hat“. Jedoch sei er bisher eher auf der Geheimtippseite gewesen. Damit ist nach dem Österreichischen Buchpreis 2020 für „Geschichten mit Marianne“ wohl Schluss. Zwanzig dieser Geschichten mit Marianne durchlebt der namenlose Protagonist mit seiner Partnerin auf 184 Seiten. Die Entscheidung, dieselben Personen als roten Faden durch die Geschichten führen zu lassen, erinnert Bayer an „die Zeichentrickfigur Kenny aus der Serie ,South Park‘, die in jeder Folge auf eine andere Weise stirbt, aber dann in der nächsten Folge wieder am Leben ist“. Grenzüberschreitung in die Angsträume unserer Zeit lautet die Devise, die Bayer mit bitterbösem Humor verfolgt. Teil der Jurybegründung ist Bayers Vermögen, die literarische Moderne in verschiedensten Genres – „sei es Horror­geschichte oder Fantasy-Szenerie“ – zu überführen. „Ein brillantes, facettenreiches Nachdenken über unsere Zeit“, lautet das finale Attest der Expertinnen und Experten.

LESEN ALS HALT IN SCHWIERIGEN ZEITEN
Die diesjährige Jury bestand aus Ulrike Tanzer­, Literaturwissenschaftlerin an der Universität Innsbruck, dem Leiter der Rupertus Buchhandlung Klaus Seufer-Wasserthal, Sebastian Fasthuber, Kulturjournalist beim Falter, und der Literaturkritikerin Nicole Henneberg. Insgesamt sei die Gesprächs­atmosphäre in den Jurysitzungen sehr kons­truktiv und auf die Texte konzentriert gewesen, beschreibt Literaturwissenschaftlerin Tanzer. Den „Löwenanteil der Arbeit musste aber sowieso jeder allein für sich zu Hause verrichten: lesen, lesen, lesen“, so Fasthuber vom Falter. In der Presseaussendung betonte die Jury zudem die Rolle des Lesens als Hilfestellung, „gerade auch in schwierigen Zeiten“.
Das Debüt des Jahres legte Leander Fischer­ mit „Die Forelle“ (Wallstein) hin. Der 28-Jährige kommt aus Oberösterreich und wurde in der Vergangenheit bereits mit dem Deutschlandfunk-Preis ausgezeichnet. Auf fast 800 Seiten widmet er sich der Kunst des Fliegenfischens sowie den beiden Protagonisten Ernstl und Siegi. Der Roman ist „das genaue Gegenteil der einfachen, schmucklosen Prosa“, so das Attest der Jury. Vonseiten des Wallstein Verlages freut man sich darüber, dass die Expertinnen und Experten von dem sprachlich und intellektuell herausragenden ersten Buch von Leander Fischer­ ebenso beeindruckt seien wie der Verlag selbst.
Auch Leander Fischer freut sich über die resultierende Breitenwirksamkeit, da er das „schielende Auge in Richtung Verkaufszahlen beim Schreiben eigentlich meistens zudrückt“. Laut ihm hat das Buch zudem aktuelle Relevanz, etwa durch Themen wie den „Klimawandel und die Zerstörung der Umwelt“ oder auch toxische Männlichkeit.

DER GUTE VERKAUF DER GEWINNERTITEL HÄLT AN
Auch Verlage und der Buchhandel profitieren vom Österreichischen Buchpreis. Neben der erhöhten Beachtung der Branche wird auch der Verkauf angekurbelt. Der Verlag Jung und Jung mit Sitz in Salzburg hat bereits zwei Preisträger des Österreichischen Buchpreises verlegt. 2018 erhielt auch Daniel Wisser mit seinem Roman „Königin der Berge“ diese Auszeichnung. Laut Verlegerin Anna Jung halten die Nachwirkungen für den Verkauf des Buches bis heute an. Der Preis bringe einfach viel Aufmerksamkeit und Präsenz im Buchhandel, was letztendlich dem Verkauf helfe. In diesem Jahr war der Verlag gleich mit drei Titeln auf der Longlist vertreten, zwei davon schafften es auf die Shortlist. „Es ist aber letztendlich ein Preis für die Schreibenden und deren Arbeit“, betont Jung.
Zum Debütpreis-Gewinn von Leander Fischer meldet sich Thedel von Wallmoden, Verleger des deutschen Wallstein Verlages, zu Wort. Auch er freut sich über die zusätzliche Aufmerksamkeit: „Für den Verlag unterstreicht der Preis, dass man bei uns immer wieder wichtige Neuentdeckungen findet.“

WOHIN GEHT DIE REISE? EIN BLICK IN DIE ZUKUNFT
Jubiläen haben eine diametrale Wirkung. Einerseits regen sie zum Reflektieren und Zurückblicken auf die vergangene Zeit an, andererseits eröffnen sich Fragen für die Zukunft. Wie sieht der Österreichische Buchpreis wohl bei seinem zehnjährigen Jubiläum aus? AK-Präsidentin Anderl wünscht sich bis dahin vor allem, „dass alle Veranstaltungen wieder vor Ort stattfinden können“. Immerhin sei es auch wichtig, sich in der Szene zu vernetzen. Bisher in jede der vergangenen Preisverleihungen involviert war auch HVB-Präsident Föger. Er glaubt an eine weitere Steigerung des Medieninteresses für „einen der angesehensten Literaturpreise im deutschsprachigen Raum“.
Dem Österreichischen Buchpreis sind sein Einfluss und seine Relevanz für österreichische Autorinnen und Autoren sowie Verlagshäuser aus Österreich und Deutschland nicht abzusprechen. Innerhalb von fünf Jahren hat er sich zum Leuchtturm für Literatur aus Österreich entwickelt. Und was das fehlende Feiern im großen Kreis betrifft: Das wird nächstes Jahr nachgeholt.

Österreichischer Buchpreis – SiegerInnen

2016
Friederike Mayröcker für
„fleurs“ (Suhrkamp Verlag)

2017
Eva Menasse für
„Tiere für Fortgeschrittene“
(Kiepenheuer & Witsch)

2018
Daniel Wisser für
„Königin der Berge“
(Jung und Jung)

2019
Norbert Gstrein für
„Als ich jung war“
(Carl Hanser Verlag)

2020
Xaver Bayer für
„Geschichten mit Marianne“
(Jung und Jung)

 

Österreichischer Buchpreis Debüt – SiegerInnen

2016
Friederike Gösweiner für
„Traurige Freiheit“
(Literaturverlag Droschl)

2017
Nava Ebrahimi für
„Sechzehn Wörter“
(btb Verlag)

2018
Marie Gamillscheg für
„Alles was glänzt“
(Luchterhand Verlag)

2019
Angela Lehner für
„Vater unser“
(Hanser Berlin)

2020
Leander Fischer für
„Die Forelle“
(Wallstein Verlag)

(c) Georg Feierfeil
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