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Anzeiger 2/2021 – Das Glück des Chamäleons

Mit zwölf wollte Monika Helfer Schriftstellerin werden und sah sich in der Lehre eines Handwerks, das sie nun zur Meisterschaft brachte.

Interview: Erich Klein

Die Schriftstellerin Monika Helfer, 1947 in Au, Vorarlberg, geboren, lebt in Hohenems. Sie veröffentlichte Romane, Erzählungen, Hörspiele und Theaterstücke, einige Texte in Zusammenarbeit mit ihrem Ehemann, dem Autor Michael Köhlmeier. Ihr Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Die im Vorjahr erstmals publizierte Geschichte ihrer Herkunft, „Die Bagage“ (2020), wurde zum Bestseller, mittlerweile in vierzehnter Auflage. Soeben ist im Hanser Verlag „Vati“, Monika Helfers Porträt einer Nachkriegskindergeneration, erschienen.

Frau Helfer, wie sieht Ihr Schreiballtag aus?

Monika Helfer: Ich setze mich an den Computer und schreibe, manchmal nachts, manchmal am Vormittag. Bevor ich zu tippen anfange, habe ich etwas im Kopf, dann schreibe ich, bis mir nichts mehr einfällt, bis ich leer bin.

Gibt es ein fixes Tagespensum?

Helfer: Ich setze mich täglich an den Computer, aber mir fällt nicht jeden Tag etwas Kluges ein. Dann schreibe ich vielleicht andere Dinge und wende mich erst später wieder meinem Roman zu.

Was wäre das Maximum? Und was, wenn nur ein Satz pro Tag entsteht?

Helfer: Wenn der gut ist, wäre es super. Manchmal fallen mir viele Sätze ein, aber keiner ist gut – ein guter Satz ist immerhin ein guter Satz! Wenn ich einen guten Tag und guten Lauf habe, können es einige Seiten sein. Es kommt darauf an: Wenn es um Dialoge geht, dann entstehen eher mehr Seiten, sie ergeben sich schneller, man hat ja schon nachgedacht, wenn man sich zum Schreiben hinsetzt. Aber es passiert natürlich, dass man am nächsten Tag das Geschriebene durchliest und feststellt, es ist doch nicht so gut, wie ich gestern gedacht habe. Dann wird korrigiert oder weggeschmissen.

Sie haben vor Ihrem Bestseller „Die Bagage“ eine Reihe von Büchern geschrieben, die in der Gegenwart spielen. Gab es einen speziellen Grund, noch einmal am Beginn des 20. Jahrhunderts anzufangen?

Helfer: Ich habe mit meinem Mann immer wieder darüber gesprochen, und er sagte: Du hast eine derart verrückte Verwandtschaft, schreib einmal über die. Ich machte mir öfter Notizen dazu, hielt aber immer wieder inne, weil ich dachte, die leben ja noch, ich warte besser, bis sie gestorben sind. Ich wollte mit dem, was ich schreibe, niemand kränken und begann erst zu schreiben, als alle im Grab lagen. Abgesehen davon ist ja auch einiges Fiktion, und wenn ich erfinde, bin ich der Wahrheit verpflichtet.

Wem sind Sie verpflichtet?

Helfer: Mir selbst und meinen Figuren. Ich würde sagen, ein Drittel des Buches ist Fiktion, zwei Drittel sind wirklich. Aber es ist natürlich immer meine Wirklichkeit, von der ich schreibe.

Warum hätten Personen, die in einem Buch vorkommen, eigentlich gekränkt sein können?

Helfer: Weil Menschen, die sich in einem Buch wiedererkennen, denken, es würde ihnen nicht gerecht werden: Sie würden zu wenig gelobt, oder es stünde etwas Falsches über sie da. Man kann nie so schreiben, dass alle damit einverstanden sind. Die Personen geben mir den Weg vor, ich weiß, wie sie gelebt haben und was aus ihnen geworden ist. Das macht es für mich leicht, über sie zu schreiben.

Deshalb kommen in Ihrem neuen Buch „Vati“ so viele Figuren vor, auch Lebende?

Helfer: Ich habe immer das Gefühl, ich muss alle vorkommen lassen, damit es gerecht ist und keiner sagen kann: Warum hast du mich vergessen?

Monika Helfer, die große Mutter eines ganzen Clans?

Helfer: Schön, das höre ich gern (lacht).

Sie gehen auch mit den eher düsteren Gestalten der Familie sehr liebevoll um …

Helfer: Das wollte ich so haben! Bagage ist ja auch das Gepäck, etwas Schweres, Unangenehmes, im übertragenen Sinn etwas, das man mitschleppen muss.

Üblicherweise tragen Männer ihre Väter aus dem brennenden Troja, Sie tun das mit Ihrem Vater auch.

Helfer: Ja, das gefällt mir! (lacht) Es ist schön, sich als Retter zu fühlen – was gibt es Besseres!

An einer Stelle des Buches heißt es, Erinnerung ist immer nur heilloses Durcheinander, Ordnung entsteht erst, wenn man eine Geschichte als Drama inszeniert.

Helfer: Erinnerung ist immer chaotisch. Wenn ich mit Ihnen über Ihre Vergangenheit oder Kindheit spreche, werden Sie mir unterschiedlichste Geschichten ohne Zusammenhang erzählen, ein Chaos. Genauso ist es bei mir. Man erzählt ja auch Dinge, die man gern erzählt, sucht sich die Dinge aus, die erzählenswert sind.

„Die Bagage“ und „Vati“ sind ein wenig wie „Österreich I“ und „Österreich II“ von unten erzählt …

Helfer: Ein lustiger Vergleich (lacht). Ich bin damit einverstanden, denn ich schätze Hugo Portisch sehr, auch mein Vater hat ihn gemocht.

Indirektes Zentrum der „Bagage“ ist der Erste Weltkrieg, in den der Großvater zieht. Es heißt da, dieser Krieg war nicht sein Krieg. Hatten Sie beim Schreiben keine Angst, weil vor Ihnen schon Autoren wie Joseph Roth über den Untergang dieser Welt geschrieben haben?

Helfer: Natürlich hatte ich Respekt. Was die Frage betrifft, dass es nicht sein Krieg war: Was ist damit eigentlich gemeint, wem gehört ein Krieg? Niemand geht freiwillig in den Krieg. Krieg ist einfach schrecklich, ganz egal, von welcher Seite ich die Geschichte anbohre. In den Krieg zu ziehen war für den Mann wie die ganze Familie eine Katastrophe. Ich habe die Geschichte natürlich von der privaten Seite aufgezogen.

Es gibt da außerdem die fantastische Figur des Onkel Lorenz, der die Mutter mit dem Gewehr in der Hand schützt und einen Einbruch ­begeht, um die Familie vor dem Hunger zu ­retten.

Helfer: Zu dieser Szene muss ich sagen: Da war viel Fiktion dabei. Es war für mich eine Wunschszene, von der ich gern gehabt hätte, dass sie wirklich passiert ist. Ich habe sie Lorenz zugedacht, weil es zu ihm passt, dass er als Bub die Familie auf so abenteuerliche Weise ernährt. Onkel Lorenz war ein verrückter Typ.

Geradezu unglaublich ist, dass er im Zweiten Weltkrieg desertiert sein soll, aufseiten der Russen kämpfte und eine russische Familie gründete. Wie soll das gegangen sein?

Helfer: Das haben wir uns auch gefragt. Aber offenbar war es möglich, wir konnten nur wissen, was er uns erzählt hat – wir haben diese Frau nie gesehen, erfunden wird er sie nicht haben. Das ist auch ein Beispiel dafür, wie Geschichten weitergesponnen, verändert und ausgeschmückt werden. Wir haben diese Geschichte jedenfalls so gehört.

„Vati“ ist eigentliche eine Apologie der Literatur: Ihr Vater liest wie besessen und sammelt Bücher. Was waren Ihre Lieblingsbücher?

Helfer: Was man so gelesen hat, nur Mädchenbücher las ich nie besonders gern. Ich habe so mit zwölf „Jenseits von Eden von John Steinbeck gelesen. Das hat mich unglaublich fasziniert, es war für mich das Buch! Ich habe nie so richtig Kinderbücher­ gelesen, auch keinen Karl May, nach dem meine Schwester ganz verrückt war. Ich versuchte immer, Erwachsenenbücher in die Hand zu kriegen, etwa „Exodus“ von Leon Uris, und habe sie damals regelrecht gefressen. Das waren allerdings nicht die Lieblingsbücher meines Vaters – er meinte nur, na gut, das sind Bücher, die für alle geschrieben werden. Für ihn selbst war das keine hohe Literatur, doch mir als Mädchen gefielen sie.

Sie mussten in keine Stadt- oder Pfarrbibliothek gehen?

Helfer: Mein Vater hatte ja diesen Vogel – er war bei seinen Büchern unglaublich empfindlich, die alle wie neu ausgesehen haben. Man durfte die Klassiker, die in Kalbsleder gebunden waren, kaum angreifen. Wir sind dann doch lieber in die Gewerkschafts­bibliothek gegangen, um uns dieselben Bücher dort zu holen. Die konnte man auch im Bett lesen (lacht).

Es gab nie den Moment, in dem es hieß: Jetzt reicht’s mit den Büchern?

Helfer: Das sagte vor allem meine Stiefmutter – wir wohnten in einer kleinen Wohnung, und es gab wenig Platz. Er hat seine Regale tiefer gemacht, um die Bücher in zwei Reihen aufstellen zu können. Man sollte glauben, es gebe nur die erste Reihe. Außerdem machte mein Vater ständig Buchbestellungen, hatte dann aber Angst, dass man ihn dafür schimpft. Also lagerte er die Bücher im Kohlenkeller, was meine Stiefmutter bemerkte, worauf er sagte: Das ist nur zur Ansicht, ich kann sie auch zurückschicken – was er natürlich nie tat. Es war schon ein Problem. Sie sagte etwa: Die Kinder brauchen Winterschuhe. Und er konnte darauf antworten: Sie sollen in ihren Sommerschuhen gehen und ein zusätzliches Paar Socken anziehen. Wozu brauchen sie jetzt Schuhe, sie haben ja noch welche. Es war für ihn keine Frage: Bücher standen für ihn immer an erster Stelle. Das hatte schon etwas Asoziales, fanden wir alle.

War das eine Folge des Krieges, aus dem er als Invalide zurückkam?

Helfer: Wenn auf der Tschengla, einer Alpenregion bei Bludenz, die Kurgäste da waren, gab es ein Sammelsurium von Einarmigen und Amputierten. Einer konnte nicht mehr denken, ein anderer nicht mehr schreiben, weil er keine Hände mehr hatte, ein Dritter mit nur einem Auge schlecht sehen. Wenn man das als Kind sieht, findet man es irgendwann normal, auch hatte mein Vater eine Prothese. Ich war darüber nie schockiert und dachte: Das war halt so, es war Krieg. Man muss dazu auch sagen, dass die Versehrten an ihren Verletzungen litten. Ich erinnere mich, dass mein Vater, wenn er im Lehnstuhl saß und las, Phantomschmerzen hatte. Wenn das Wetter umschlug, hat es ihn vor Schmerz gerissen. Diese Phantomschmerzen haben mich geängstigt – unheimlich, dass es so etwas gibt, dass die Zehen eines amputierten Beines schmerzen.

Sie gehen mit der Zeit des Zweiten Weltkriegs sehr gelassen um …

Helfer: Gelassen und Nazizeit gehen nicht zusammen! Die Nazizeit kommt auch nicht direkt vor. Ich habe zum Beispiel versucht, herauszufinden, wie es sich mit dem Kriegsopferheim eigentlich verhielt. Es gehörte einer schwäbischen Institution für Kriegsversehrte, es waren sicher Nazis, die das gebaut hatten. Aber das wurde verschwiegen, niemand hat darüber geredet. Das Ganze hatte auch einen sehr unguten Beigeschmack. Was meinen Vater betrifft, so war er so voller eigener Schwierigkeiten, dass das gar kein Thema für ihn war, es erschien ihm nicht erzählenswert.

Erzählenswert?

Helfer: Er wurde als Siebzehnjähriger zum Militär eingezogen und kam eineinhalb Jahre später verwundet aus dem Krieg zurück. In dieser Zeit kann er nicht sehr viel erlebt haben. Ich habe mit ihm darüber gesprochen, er wusste alles über die Verbrechen in der Nazizeit, sagte aber: Monika, das betrifft mich nicht. So komisch das klingen mag – natürlich war jeder durch die Nazizeit beschädigt, das sind wir jetzt auch noch – aber er wollte nicht darüber reden. Ich denke, das war in dieser Generation häufig der Fall und heißt nicht, dass alle mit den Nazis sympathisiert haben.

Wie politisch war der Vater?

Helfer: Ich glaube, er war völlig unpolitisch. Ich habe von ihm nie eine politische Äußerung gehört. Wenn Wahlen waren, fragte ich ihn oft: „Wen wählst du?“ Ich denke, er hat die Roten gewählt, wie in unserer Familie üblich. Aber sonst war das kein Thema. Politik hat ihn nicht interessiert.

Sie haben Ihre Franz-Michael-Felder-Medaille, eine in Vorarlberg sehr angesehene Auszeichnung, zurückgegeben, weil die auch eine Nazi-Autorin namens Beer bekam …

Sie hat über Hitler noch immer geredet, als wäre er der liebe Gott. Man kann nicht einen Preis bekommen, den auch eine solche Person hat. Ich würde ja noch verstehen, wenn jemand sagt, ich war damals fehlgeleitet, und dann Reue zeigt, aber diese Frau war unverbesserlich.

Wie kam es Ihnen in den Sinn, Schriftstellerin zu werden?

Helfer: Ich habe das schon oft gesagt, es ist aber trotzdem wahr: Ich war vielleicht zwölf Jahr alt und sagte zu meiner Schwester: Irgendwann steht mein Name auch auf einem Buchrücken. Sie hat mich ausgelacht, aber ich habe mir in den Kopf gesetzt, dass ein normaler Mensch wie ich auch Schriftsteller sein kann. Allein der Gedanke, meinen Namen auf einem Buchrücken zu sehen, hat mich total glücklich gemacht (lacht). Dieses Ziel habe ich dann verfolgt. Ich habe immer geschrieben, wie man halt so schreibt als Kind. Zu schreiben war ein Trost.

Ein Trost?

Helfer: Ja, wenn einem niemand zugehört hat, wenn man gekränkt war und seinen Zorn nicht loslassen konnte, dann habe ich alles aufgeschrieben. So hat das Schreiben bei mir angefangen und sich dann weiterentwickelt.

Männer, wurde einmal behauptet, schreiben im Auftrag ihrer Mütter. War es bei Ihnen der Vater?

Helfer: Das könnte gut sein. Michael Köhlmeier erzählt immer, dass seine Mutter wollte, dass er entweder Papst oder Schriftsteller wird. Bei mir war das sicher der Vater, aber er hat natürlich nicht gesagt, werde Schriftstellerin. Als ich es dann geworden bin, war es okay. Er hat mich in sein Regal eingereiht, ich stand hinter Heine. Das war erhebend für mich (lacht).

Am Beginn von „Vati“ erklärt Ihr Vater, dass er von den Kindern als „Vati“ angesprochen werden will. Im Unterschied zum autoritären „Vater“ beginnt mit „Vati“ die Zweite Republik …

Helfer: Ja, das Wort impliziert sehr viel. Es gab die, die „Papa“ sagten, und die, die „Vater“ sagten. Damals ging die Zeit, in der Kinder ihre Eltern mit Sie anredeten, zu Ende.

Von „Mutter“ zu „Mutti“ war auch ein großer Sprung.

Helfer: Mutti ist schon die mit dem ­Kelomat.

In beiden Büchern taucht immer wieder heute selten zu Hörendes wie „nigelnagelneu“ oder „Spundus haben“ auf. Wie wichtig sind Ihnen solche Wörter?

Helfer: Sagt man das nicht mehr? Diese Ausdrücke tauchen beim Schreiben auf, und weil ich von dieser Zeit schreibe, haben sie auch Gültigkeit. Aber ich denke da gar nicht groß darüber nach. Es sind Ausdrücke, die der Zeit angemessen sind. Ausdrücke vererben sich. Ich habe sie von meiner Tante gehört und verwende sie, auch wenn sie gar nicht mehr im Umlauf sind. Diese Ausdrücke sind beim Schreiben plötzlich da, ich muss sie auch nicht erst extra suchen.

Melancholie ob des Vergehens der Zeit?

Helfer: Nein. Man denkt manchmal mit Sehnsucht an etwas zurück, aber ich würde das nicht als melancholisch bezeichnen. Jede Zeit hat etwas für sich: Ich denke melancholisch oder sehnsüchtig an die Zeit, als die Kinder noch klein waren. Das war schön. Aber sonst gehe ich mit der Zeit. Ich bin jemand, der an den Fortschritt glaubt, und bin glücklich, dass es Fortschritt gibt.

Auch ein Wort, das aus der Mode kam – wie „Sozialdemokratie“. War es im Ländle einfach, Sozialdemokrat zu sein?

Helfer: Vorarlberg war immer schwarz, aber es gab eben auch die Roten. Unpolitische Menschen wie mein Vater haben sie gewählt. Ich selbst habe immer nur Rot gewählt, auch meine Schwester. Am Anfang waren das in Vorarlberg wenige, heute wählen sie halt Grün. Schwarz war für mich immer ein Zeichen dafür, dass man hinter dem Mond lebt, sich nicht für Neues interessiert und am Alten klebt.

Wie wichtig war Ihnen Feminismus in der Literatur?

Helfer: Das ist eine ungeheuer wichtige Frage, aber in meiner Literatur würde ich das nicht speziell hervorheben. Und falls man es dennoch tut, wird es komisch. Meine Großmutter war, obwohl gänzlich von ihrem Mann abhängig, eine sehr selbstbewusste Frau. Wenn ich Personen so darstelle, wie ich sie sehe, sind sie emanzipiert, das muss ich nicht noch extra betonen.

„Die Bagage“ war der erste große Erfolg …

Helfer: Ich dachte, ich gehöre zu den Schriftstellern, die schreiben, bis sie tot umfallen, und dann haben sie halt einfach geschrieben. Ich schrieb immer sehr gern, dass ich je einen Erfolg wie mit „Die Bagage“ haben würde, hätte ich mir nicht träumen lassen. Niemals!

Sie haben sich nie im Schatten Ihres Mannes Michael Köhlmeier gefühlt?

Helfer: Das muss man so erklären: Wir haben vier Kinder, Michael hat im Rundfunk viel gearbeitet, bis sich seine Bücher richtig gut verkauft haben. Er machte seinen Part, ich war zuhause bei den Kindern. Und hatte nicht viel Zeit zum Schreiben – die Kinder kamen aus der Schule und wollten essen. Aber ich habe immer geschrieben und mir gedacht, meine Zeit kommt noch. Und so war es dann auch. Der Umstand, dass ich mit Michael Köhlmeier verheiratet bin, hat mir immer genützt. Wir tauschen uns aus, ich habe viel von ihm gelernt, denn er ist in vielen Dingen ein absoluter Profi. Ich war das nicht und hoffe, dass ich es immer mehr sein werde. Ich kann nicht sagen, dass ich je neidisch war – nein, damit hatte ich kein Problem.

Nach dem Unfalltod Ihrer Tochter Paula im Jahr 2003 ist zehn Jahr lang nichts mehr von Ihnen erschienen.

Helfer: Ich hatte damals eine schwere Krise, bin einfach in ein Loch gefallen. Man muss das erst einmal verkraften – wobei „verkraften“ ein dummes Wort ist. Es musste Zeit verstreichen, mir kam das Schreiben so unwichtig vor. Es passiert etwas derart Schreckliches, und man soll etwas schreiben, das die Menschen dann gern lesen und worüber sie sich freuen – das hat nicht gepasst. Ich habe mich dann wieder aufgerafft und bin froh darüber, dass ich das geschafft habe.

Literatur ist stärker als der Tod?

Helfer: Das Schreiben ist sehr stark, aber über den Tod hinaus? Es ist schön, wenn die Bücher über den Tod hinaus gelesen werden. Aber was bleibt andererseits übrig nach dem Tod? Mein Schreibtisch wird sehr viel älter werden als ich. Das ist so eine Sache mit dem Tod, da kann ich keine Auskunft geben.

Jedes Ihrer Bücher ist ein eigenes Werk, zugleich wirken die früheren wie Vorarbeiten zu „Die Bagage“ und „Vati“ …

Helfer: Das ist richtig. Man könnte es so beschreiben: Ich bin ein Schreiner, und mir wurde der Auftrag erteilt, einen Schreibtisch zu machen. Bevor ich ihn mache, mache ich ein paar Tische und Stühle, erst dann traue ich mich an den Schreibtisch mit seinen Schubladen und anderen komplizierten Dingen. Schreiben ist ein Handwerk, in dem man immer besser werden muss. Meine früheren Bücher sind einfach nicht so gut, und man lernt mit jedem Buch auch dazu. So gesehen ist die Tatsache, dass man als älterer Mensch ein Buch schreibt, gar nicht so schlecht, man hat dann zumindest die nötige Erfahrung.

Wie alt ist eigentlich die Erzählerin Monika Helfer?

Helfer: Es klingt natürlich affektiert, wenn ich sage, dass ich mich jünger fühle. Sicher ist jedenfalls, dass ich mich beim Schreiben jünger fühle, als wenn ich einfach nur da­sitze.

 

Foto (c) Salvatore Vinci