ORF-Bestenliste
ORF-Bestenliste im Dezember: Karl-Markus Gauß auf Platz 1
Im Jänner steigt Karl-Markus Gauß mit dem Werk Die unaufhörliche Wanderung (Zsolnay) auf Platz 1 auf. Auf Platz 2 befindet sich Gabriel Josipovici mit Wohin gehst du, mein Leben? (Jung und Jung), übersetzt von Jochen Jung; Ayad Akhtar belegt mit Homeland Elegien (Claassen), übersetzt von Dirk van Gunsteren, den dritten Platz.
In seinem letzten Buch „Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer“ hat Karl-Markus Gauß die Lesenden von seinem Zuhause aus durch die Welt geführt – an Hand der Geschichten von Gegenständen, die sich in seinem Zimmer befinden. Sein neues Buch „Die unaufhörliche Wanderung“ liest sich beinahe wie ein Komplementärstück dazu. Hier führt der Weg aus dem Zimmer hinaus in die Welt: beim Lesen heftet man sich an die Fersen des ruhelosen Schriftstellers und reist mit ihm quer durch Europa. Etwa ins albanische Berat, wo er einen muslimischen Sommelier trifft und zu hören bekommt, wie die Stadtbevölkerung seinerzeit die jüdischen Bewohner vor der Wehrmacht gerettet hat: indem man sie zu sich nach Hause geholt und als Familie ausgegeben hat. Oder nach Odessa, wo sich Gauß über das rücksichtlose Fahrverhalten einiger Geländewagen wundert – um schließlich zu erfahren, dass eine 777 im Autokennzeichen auf wundersame Weise vor strafrechtlicher Verfolgung schützt.
Egal wohin es Karl-Markus Gauß verschlägt: er sieht genau hin, hört aufmerksam zu und denkt sorgfältig nach. Und wir mit ihm.
Die Handlung des neuen Romans des britischen Schriftstellers Gabriel Josipovici lässt sich denkbar kurz zusammenfassen: ein namenloser Erzähler berichtet aus seinem Leben und dessen verschiedenen Stationen: Nach dem Tod der ersten Frau zog es ihn von London nach Paris, mit der zweiten Frau schließlich von Paris weiter nach Wales. Er sei ein Gewohnheitsmensch, betont er immer wieder, alles was er tue – übersetzen, den hohen Künsten frönen – habe er immer schon so gemacht. Es ist die neurotische Wiederholung dieses Credos und die nicht chronologische Wiedergabe der Ereignisse, die das Erzählte brüchig werden lässt. Das Misstrauen gegenüber dem Erzähler wächst mit jeder Seite – was genau ist mit der ersten Frau eigentlich passiert? Gab es sie denn überhaupt wirklich? Auf genauso humorvolle wie rätselhafte Art verdeutlicht Gabriel Josipovici, dass hinter einer Lebenserzählung oft mehr steckt, als man eigentlich preisgeben möchte.
Mit seinem mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Theaterstück „Geächtet“ ist dem amerikanischen Schriftsteller Ayad Akhtar 2013 der internationale Durchbruch gelungen. Ebenso wie das Stück geht sein Roman „Homeland Elegien“ der Frage nach, was es bedeutet, in den USA mit muslimischen Background zu leben – ausgehend von der eigenen Familiengeschichte. Akhtar wurde 1970 als Sohn pakistanischer Einwanderer in Long Island geboren, er bezeichnet sich als muslimisch geprägt und gehört gleichzeitig einer säkularen intellektuellen Elite an. Ambivalenzen wie diese ziehen sich durch die gesamte Familie: vom Vater, der Trump gewählt hat, bis hin zur Tante, die Rotwein liebt, aber Rushdies „Satanische Verse“ für Blasphemie hält. Die Geschichten sind Teil eines anspruchsvollen Verwirrspiels zwischen Fakt und Fiktion, denn obgleich Erzähler und Autor denselben Namen tragen: deckungsgleich sind sie keineswegs. Ayad Akhtars „Homeland Elegien“ sind keine Autobiographie: vielmehr geht es darum, den „Big American Dream“ als das zu entlarven, was er für Einwanderer und Eingesessene gleichermaßen geworden ist: eine große Illusion.
Hier finden Sie die vollständige Wertung.
Über die ORF-Bestenliste:
Seit Mai 2003 kürt eine Jury aus unabhängigen LiteraturkritikerInnen und BuchhändlerInnen jeden Monat eine Liste von jeweils zehn empfehlenswerten Buch-Novitäten. Sie soll dem Publikum die Orientierung im Neuerscheinungs-Dschungel von 90.000 Titeln jährlich erleichtern.