anzeiger 6/22 – Selbstredend – Die Ukraine hat schon gewonnen

Die Ukraine hat schon gewonnen, nämlich ihr eigenes Verständnis als Nation unabhängig von Russland und an Europa orientiert, argumentiert Serhii Plokhy, Historiker an der Universität Harvard. Nur ihre neuen Grenzen stehen noch nicht fest.

Serhii Plokhy, ukrainisch-amerikanischer Historiker, wurde 1957 im russischen Gorki (heute wieder Nischni Nowgorod) geboren. Kindheit und Jugend verbrachte er in Saporischja in der Ukraine, studierte Geschichts- und Sozialwissenschaften in Dnipropetrowsk, Moskau und Kiew. Nach dem Zerfall der Sowjetunion ging er in die USA. Seit 2013 ist er Direktor des ukrainischen Forschungsinstituts an der Harvard University. Der international bekannteste Ukraine-Historiker publizierte in den letzten zwanzig Jahren ein gutes Dutzend Bücher: über die Kosaken, den Untergang der Sowjetunion, Tschernobyl, das Verhältnis zwischen Russland und Ukraine. Plokhy verfasste eine vielfach ausgezeichnete Geschichte Russlands und eine Geschichte der Ukraine (die auf Deutsch im Herbst erscheint). Kürzlich erschien: „Frontlinie. Warum die Ukraine zum Schauplatz eines neuen Ost-West-Konfliktes wurde“, eine Sammlung von einundzwanzig Essays, in denen all diese Themen in aller Komplexität höchst übersichtlich und gut lesbar dargestellt werden.

Herr Plokhy, warum wurde die Ukraine zum Schauplatz des neuen West-Ost-Konflikts?

Serhii Plokhy: Wenn es eine einfache Antwort darauf gäbe, hätte ich mein Buch nicht schreiben müssen. Die Antwort ist kompliziert, weil diese Geschichte mehrere Ebenen hat. Die wichtigste ist die Tatsache, dass einige in Russland, insbesondere Präsident Putin, nicht der Meinung sind, dass eine ukrainische Nation existiert oder das Recht zu existieren hat. Das Argument lautet: Russen und Ukrainer sind ein und dasselbe Volk. Das bedeutet nicht, dass Russen Ukrainer sind, sondern vielmehr, dass die Ukrainer in Wirklichkeit Russen sind. Herr Putin hat das im Juli 2021 in einer langen historischen Abhandlung ausgeführt und später mit der Anerkennung der von Russland geschaffenen Marionettenrepubliken in der Ostukraine wiederholt. Russland gab die Minsker Vereinbarungen auf, und öffnete damit Tür und Tor für den Krieg. Diese historische Fragestellung bildet den Kern des aktuellen Krieges – aber es ist schwierig, das im Westen zu vermitteln.

Der Angelpunkt Ihres Buches ist das Jahr 2014 …

Plokhy: Nur sehr wenige Menschen außerhalb der Region verstehen die Bedeutung des Jahres 2014. Der aktuelle Krieg begann nicht am 24. Februar 2020, sondern im März 2014 mit der russischen Annexion der Krim. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurde erstmals das Territoriums eines souveränen Staates von einem anderen Staat annektiert. Ich befasse mich in meinem Buch aber auch mit anderen Themen wie dem jeweils unterschiedlichen Umgang Russlands und der Ukraine mit Geschichte und Erinnerungspolitik. Im Zuge der Revolution der Würde wurden 2014 auf Beschluss des ukrainischen Parlaments eintausend Denkmäler aus Sowjetzeiten beseitigt. Als die Berliner Mauer fiel, gab es allein in der Ukraine fünfeinhalbtausend derartige Denkmäler. Ich habe mich gefragt: Was steckt hinter diesem Denkmalsturz?

Nämlich was?

Plokhy: Die großen historischen Verschiebungen, die mit nationaler Identität zusammenhängen. Heute sehen wir, dass in den von Russland besetzten Gebieten im Süden der Ukraine Lenin-Denkmäler sofort wieder auf ihren Sockel gestellt werden. Es geht also um Geschichte, nicht bloß nur um Symbole. Die zentrale Frage, die in diesem Krieg entschieden wird, ist tatsächlich, ob die Ukraine eine eigenständige Nation ist, ob sie das Recht hat, als eigenständige Nation zu existieren, und ob sie als solche eine Zukunft hat.

Das hat auch für Russland Konsequenzen.

Plokhy: Das Problem besteht für beide Länder, aber auf ganz unterschiedliche Weise. Was wir heute sehen, ist die Herausbildung zweier Nationen in unabhängigen Ländern mit noch nicht klar definierten Grenzen. Was die Institutionen dieser beiden Länder betrifft, so unterscheiden sie sich ganz außerordentlich. Russland hat sich aus welchen Gründen auch immer für die Fortsetzung eines autoritären Weges entschieden, die Ukraine folgt dem Weg der Demokratie.

Warum bewegt sich Russland zurück zum Autoritarismus?

Plokhy: Die einfachste Erklärung liegt für mich in der Geschichte. In den Jahren 1990/91, als sich die Sowjetunion auflöste, war Russland mit Jelzin ein Vorreiter der demokratischen Revolution. Man glaubte damals an einen Wendepunkt der Geschichte, allerdings geschehen derart dramatische Dinge nicht einfach über Nacht. In jedem Land gibt es eine lange Tradition, wie man seine Dinge organisiert. Russland war traditionell ein autoritärer Staat. Einer meiner Kollegen sagte einmal etwas sehr Interessantes über die Architektur von St. Petersburg: Auf den ersten Blick scheint es sich um eine europäische Stadt zu handeln, erst nach einiger Zeit bemerkt man, dass da etwas fehlt. Im Zentrum dieser europäisch wirkenden Stadt befindet sich kein Stadtrat, sondern das Hauptquartier von Marine und Armee. Der Generalsekretär oder der Zar war traditionell Teil der russischen Kultur. Ich will damit nicht sagen, dass sich das nicht ändern kann, aber diese Dinge brauchen Zeit und Revolutionen entwickeln sich an verschiedenen Orten auf sehr unterschiedliche Weise.

In der Ukraine hat sich die Revolution in eine andere Richtung entwickelt

Plokhy: Nur eine Revolution kann zu einem dauerhaften Wandel führen. Der Punkt ist, dass die in dieser Frage vorherrschende Verwirrung nicht auf die Institutionen oder Traditionen oder die Beziehung zum Staat zurückzuführen ist. Die Verwirrung liegt an der Sprache und der Kultur, und die Frage ist, ob die Sprache wirklich entscheidet, was eine Nation ist, und wer welcher Nation angehört. Schon 2014 wurde der Krieg mit der Verteidigung der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine gerechtfertigt – heute passiert wieder dasselbe. Aber es werden gerade die Städte mit dem höchsten Anteil an ethnischen Russen zerstört. Die Antwort auf die Frage, wer Ukrainer ist, muss auf andere Weise erfolgen, unabhängig von der Sprache. Es geht um die Institutionen. Der ukrainische Befreiungskrieg wird von einem Präsidenten mit jüdischem Hintergrund geführt, auch der Verteidigungsminister ist jüdischer Herkunft. Dazu kommt noch, dass der Präsident im Grunde ein russischsprachiger Bürger der Ukraine ist, der aus dem Osten kommt. Natürlich spricht er im Amt ukrainisch, aber privat ist er russischsprachig. Und Senlenskyj ist nur ein Beispiel, um die Komplexität und die Einheit der Ukraine zu zeigen. All das bedeutet, dass es einen Zusammenstoß und einen Krieg zwischen den verschiedenen Auffassungen darüber gibt, was eine Nation ist. Ist Nation etwas, das auf der Sprache basiert, und wird der Krieg durch eine Sprache gerechtfertigt, oder geht es um eine Nation, die sich in diesem Krieg gegen die Aggression über sprachliche, religiöse und andere Grenzen hinweg vereint? Und das ist nur eine der Schlachten, die heute geschlagen werden.

Wie kam es dann dazu, dass die Ukraine, die über Generationen brav sowjetisch war, den demokratischen Weg nach Europa wählte? An einer Stelle ihres Buches bezeichnen sie es als traditionellen Trick der Ukraine, sich als „europäisch“ zu bezeichnen

Plokhy: Das ist mehr als Rhetorik, die Ukrainer glauben wirklich daran. Sie versuchen nicht gezielt, jemanden zu täuschen – sie glauben daran. Dafür gibt es eine ganze Reihe von historischen Gründen. Die Ukraine wurde in der frühen Neuzeit außerhalb der Grenzen der heutigen Russischen Föderation gegründet. Die Abwesenheit von Stadträten im Zentrum der russischen Städte habe ich erwähnt – in der Ukraine sind sie hingegen allpräsent. Es gab hier traditionell eine städtische Selbstverwaltung, etwa das Magdeburger Stadtrecht. All diese Dinge kamen mit den Polen ins Land, und diese Tradition reicht bis ins 17. Jahrhundert zurück. Die Mehrheit der Bevölkerung in der Zentral- und Ostukraine lebte außerhalb der Leibeigenschaft. Vor allem im Süden der Ukraine, weil die Steppe eine offene und bewegliche Grenze darstellte. Im Russischen Reich wurde die Leibeigenschaft abgeschafft, aber sie hatte sich auch nie bis in jene Region ums Schwarzen Meer erstreckt, die gerade erobert wird. Meine Großväter und Großmütter stammen aus dieser Gegend, aber nur in einer der vier Familien gibt es eine Geschichte der Leibeigenschaft. Sobald man anfängt, ein nationales Projekt zu formulieren wie es in der Ukraine im 19. Jahrhundert der Fall war, entstehen auch neue und andere Mythologien. Es geht also nicht nur um eine andere Geschichte – in der Ukraine war nicht vom Mann, der mit dem Staat irgendwie verbunden ist, die Rede, sondern vom Mann, der gegen den Staat rebelliert. Darin bestand die Verkörperung der Freiheit.

Allerdings gab es historisch keine einheitliche Ukraine für deren heutiges Territorium …

Plokhy: Richtig – die Ukraine besteht aus Regionen, die zu verschiedenen Imperien gehörten, dem Königreich Polen-Lithauen, zu Österreich-Ungarn, zum Russischen und dem Osmanischen Reich. Diese Regionen haben ganz unterschiedliche geschichtliche Entwicklungen durchlaufen, es wurden auch unterschiedliche Formen der Identität entwickelt. Damit das Land zusammenbleibt, musste man verhandeln. Das ist eine ganz entscheidende Voraussetzung der modernen Ukraine: Es gab keine einzige Gruppe, die in der Lage gewesen wäre, eine Mehrheit im Parlament zu besitzen. Das erste Mal, dass in der Ukraine eine mehrheitsfähige Partei entstand, war jene Partei, die Selenskyj vor dem Krieg gegründet hat. Durch den Krieg entstand eine Situation, die es vorher nicht gab. Wenn wir von der Ukraine und Europa sprechen, so haben wir die Verbindung zu Europa durch Österreich-Ungarn. Wichtig war auch, dass das ukrainische Projekt im 19. Jahrhundert nach dem Modell Polens geschaffen wurde.

Russland war das andere Modell von dem man sich distanzieren wollte …

Plokhy: Es gab immer diese beiden Pole – Russland, das Russische Reich und Europa. Die Gründer des ukrainischen nationalen Projekts dachten immer darüber nach, wie es möglich wäre, von Russland unabhängig oder zumindest autonom zu werden. Ein Auslöser des Krieges war 2014 die Weigerung der Ukraine, ein Assoziierungsabkommen mit Russland zu unterzeichnen. Für das Verständnis ist auch wichtig zu wissen: Das Projekt einer modernen Ukraine ohne Europa war in der Ukraine immer unvorstellbar. Man brauchte immer ein Gegengewicht zu diesem großen Kerl auf der anderen Seite.

Eine im Fall der Ukraine immer wiederkehrende Frage ist die von Putin verkündete propagandistische „Entnazifizierung“. Die Geister scheiden sich dann an der Figur des ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera, der tatsächlich mit den Nazis kollaborierte. Sie haben ein ganzes Buch über Bandera geschrieben …

Plokhy: Bandera war eine Figur des Zweiten Weltkriegs – in Russland wurde es Tradition, jeden damaligen Gegner der Sowjetunion als Bandera-Anhänger zu bezeichnen. Jeder ukrainische Patriot, der eine unabhängigen ukrainischen Staat forderte, galt als „Banderist“. Ich habe in meinem Buch nur offen zugängliches Material verwendet und stellte fest, dass es sehr wenige Versuche gab, wirklich zu verstehen, was damals geschehen war. Als die Sowjetunion zerfiel, gelang es Moskau zwar den Großteil der KGB-Archive zu beseitigen – so geschehen etwa in den baltischen Staaten. In der Ukraine ist das nicht mehr gelungen. Die KGB-Akten sind dort heute frei zugänglich. Ich habe mich vor allem mit dem letzten Teil der Geschichte von Bandera befasst: seiner Ermordung durch KGB-Agenten in München im Jahre 1959. Banderas Mörder floh später aus der Sowjetunion, gestand, dass er und eine andere Person, die in Karlsruhe vor Gericht gestellt wurde, Bandera getötet hatten. Es handelt sich um eine Geschichte, die auch mit dem Kalten Krieg zu tun hatte. Was ich dabei aber auch herausfand, war der Umstand, dass die Mythologisierung Banderas das Ergebnis zweier entgegengesetzter Kräfte war. Einerseits gab es da Banderas Anhänger, die einen Heldenmythos um diesen Mann des ukrainischen Widerstandes gegen die Sowjetmacht schufen, als sich dieser selbst gar nicht im Land, sondern in der Emigration befand. Andererseits wurde der Widerstand gegen die Sowjetunion im russischen und sowjetischen Narrativ mit dem Namen Bandera verbunden. Eigentlich stimmt von all dem nichts, aber ich sah plötzlich eine in sich interessante Geschichte – wie nämlich Propaganda funktioniert. Manchmal finden Übeltäter aus entgegengesetzten Lagern aufgrund eigener Interessen zueinander. Bandera wurde schließlich ermordet, weil er zu einem von den Sowjets selbst geschaffenen Symbol geworden war. Zu der Zeit als man ihn getötet hat, hatte einer keinerlei politischen Einfluss mehr. Für mich war es einerseits eine Untersuchung darüber, was damals passierte, zugleich verstand ich, wie Bildung von Mythen funktioniert, die dann im gegenwärtigen politischen Morast verwendet werden. Der Vertreter der Russischen Föderation müssen sich allerdings auch die Frage gefallen lassen, wie man in diesem Krieg die Entnazifizierung der Ukraine zum Ziel erklären kann, wenn der Präsident des Landes als einziger Präsident außerhalb Israels Jude ist. Dass dann alle möglichen bizarren und skandalösen Erklärungen wie jene aus dem Mund des russischen Außenministers folgten, Hitler sei irgendwie halb jüdisch gewesen, verwundert dann auch nicht mehr. Bandera stand jedenfalls am Anfang dieser ganzen Mythenbildung.

Ist das auch der Grund, warum der Name Bandera vor allem in deutschsprachigen Ländern und vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte noch immer herumgeistert?

Plokhy: Etwas, das man verstehen sollte, wenn man vom Zweiten Weltkrieg und der Ukraine spricht: Bandera steht für eine relativ kleine Gruppe von Menschen, die sich von der Mehrheit unterschied. Seine Anhänger schlossen sich tatsächlich den SS-Einheiten an und stellten eine eigene Division auf, die auf Seite der Deutschen kämpfte. Wenn man alle Aktionen der Bandera-Anhänger zusammenzählt, so handelt es sich um Handlungen einer Minderheit. Die Mehrheit, Millionen von Ukrainer, kämpften in der Roten Armee. Aber sie sind nicht Teil der Geschichte, und sie sind auch nicht Teil der Diskussion. Mein Großvater war in der Roten Armee und kam bis Preußen und später in die Tschechoslowakei. Wir können darüber reden, was die Rote Armee zum Beispiel in Ostpreußen gemacht hat. Es geht dabei um Millionen von Ukrainern und die russische Armee im Vergleich zu Zehntausenden im nationalistischen Untergrund. Zuallererst ist das Ganze aber eine Frage der Manipulation, um nicht über Europa zu sprechen. In dieser Frage geht es nicht um die absolute Mehrheit der Ukrainer, und ich sage damit nicht, dass eine Gruppe nur positiv oder negativ betrachtet werden sollte. Ich war geradezu schockiert, als ich in Kanada einmal die Beerdigung eines alten ukrainischen Emigranten erlebte. Die Männer, die dort zusammenkamen, hatten im Grunde alle den gleichen Hintergrund. Einer von ihnen hatte in der kanadischen Armee gedient, ein anderer in der polnischen Armee, einer in der Roten Armee und einer war im so genannten Bandera-Untergrund gewesen. Daran sollte man erinnern, wenn man über Bandera und dessen Kollaboration mit den Deutschen spricht. Er kooperierte in der Hoffnung, die Deutschen würden eine Unabhängigkeitserklärung der Ukraine zulassen – was sie nicht taten. Nachdem er diese Unabhängigkeit deklariert hatte, haben sie ihn verhafteten, und er verbrachte den Rest des Krieges in Auschwitz. Auf ein Jahr Zusammenarbeit mit den Nazis aus besagtem Grund folgten drei Jahre Auschwitz. Der Fall Bandera ist sehr viel komplexer als er üblicherweise dargestellt wird und der springende Punkt dabei ist ohnedies ein anderer: Man versucht damit abzulenken, um die Diskussion von der Geschichte auf die Politik zu verlagern. Es geht dabei vom Anfang an nur um Manipulation.

Kommen wir zum aktuellen Krieg zurück. Wer wird den Krieg gewinnen und wann wird er zu Ende sein?

Plokhy: Die Ukraine wird den Krieg ganz sicher gewinnen, wobei noch die Definition von „Sieg“ eine für beide Seiten offene Frage ist. Angesichts der Art und Weise, wie der Krieg begann und was offenbar Russlands Kriegsziel war – der Angriff auf Kiew, die Vernichtung der Ukraine als unabhängiger Staat – haben wir in der Schlacht schon einen Sieg errungen. Aber Russland ist eine wirklich gewaltige Macht. Es ist also schwer vorauszusagen. Ich denke, dass wir gerade Zeugen vom Ende der ersten Phase des Krieges wurden. Ich möchte glauben, dass der Krieg in diesem Jahr zu Ende geht – vielleicht ist das aber auch Wunschdenken. Sehr viel wird davon abhängen, welchen Entscheidungen in Moskau getroffen werden, also von jenen, die den Krieg begonnen haben. Und es wird auch von den Ukrainern abhängen, die ihren Willen zum Widerstand jedenfalls bewiesen haben.

Bleibt nur noch die Frage nach einer möglichen Neutralität der Ukraine, worüber man in Österreich gern diskutiert.

Plokhy: Ja, es wird natürlich immer wieder über Österreich gesprochen. Aber man darf dabei nicht vergessen, dass im Falle Österreichs niemand nach Wien kam, um zu erklären, dass alle Österreicher in Wahrheit Russen sind. Das steht also auf dem Spiel. Und auf dem Spiel steht auch die große Frage des russischen nationbuilding, worum es im Falle Österreichs nicht ging. Ein weiterer wichtiger Punkt dabei ist, dass man für die Neutralität mindestens drei Partner braucht, die diese auch wollen. Eine große Kraft, zwei Kräfte außerhalb und die Gesellschaft dazwischen. Wenn Russland, zumindest das derzeitige russische Regime, das Existenzrecht der Ukraine nicht anerkennt, dann fehlt mindestens eine dieser drei Komponenten. Aber man braucht alle drei, um das zu erreichen.

Interview und Text von Erich Klein. Dieser Artikel ist im anzeiger erschienen.

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(c) Nini Tschavoll
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