Anzeiger 9/2021 – Frankfurt ist ein Ort der Begegnung und des Verstehens

Buchmessenchef Juergen Boos und Jenny Kühne, Verantwortliche für den digitalen Auftritt und den Bereich Lizenzen, sprechen über den Ablauf der Buchmesse, Reisebeschränkungen, Digitalisierung und Vorteile einer reduzierten Buchmesse.

Thomas Askan Vierich

Die internationale Automobilausstellung hat mit 700 Ausstellern, 3-G-­Regeln und diversen coronabedingten Einschränkungen stattgefunden. Die Book Fair (Bibf) in Peking wird (Stand Anfang September) ebenfalls im September durchgeführt werden – soweit wir das im Vorfeld herausfinden konnten, ohne jede Einschränkung vor Ort. Außer der entscheidenden, dass man als Europäer*in gar nicht hinkommt. Ähnliche Probleme haben die asiatischen Verlage mit ihren Reisen zu uns. Aber auch dafür hat man in Frankfurt Lösungen ­gefunden.

 

Herr Boos, wird die Frankfurter Buchmesse in jedem Fall stattfinden?

Juergen Boos – Wir gehen Stand Anfang September davon aus, dass sie stattfindet.

 

Auch wenn die Inzidenz weiter steigt?

Boos – Uns liegt eine Sondergenehmigung des Gesundheitsamtes der Stadt Frankfurt vor, die uns, bei Umsetzung des vorliegenden umfangreichen Hygienekonzeptes, unabhängig von den Inzidenzen die Durchführung der Messe erlaubt. Die Anzahl der Teilnehmer*innen ist auf 25.000 pro Tag limitiert. Damit werden wir gut durchkommen.

 

Das ist natürlich nur ein Drittel der Zahlen von 2019.

Boos – Wir kommen etwa auf die Hälfte. Das Problem ist der Besuchersamstag, da kommen in normalen Jahren etwa 80.000 bis 100.000 Menschen aufs Gelände. Deswegen werden wir in diesem Jahr schon am Freitag für das Publikum öffnen, um die Besucherzahlen zu entzerren.

 

Was passiert, wenn es Reisebeschränkungen geben sollte?

Boos – Die gibt es ja schon jetzt, besonders für Teilnehmer*innen aus Asien. Diese Aussteller*innen haben sich darauf eingestellt, dass sie ihre Stände durch Partnerorganisationen und Ortskräfte beaufsichtigen lassen. Auch unser Ehrengast Kanada ist ggf. von Reiserestriktionen betroffen. Hier haben wir gemeinsam mit den kanadischen Organisator*innen Vorbereitungen getroffen, dass der Auftritt in jedem Fall stattfinden kann. Da haben wir alle ein bisschen gelernt aus dem letzten Jahr.

 

Wie halten Sie die Abstandsregeln ein? Wie entzerren Sie Ballungen des Publikums?

Boos – Dafür haben wie ein Team vom Sicherheitspersonal. Das koordinieren wir mit dem Gesundheitsamt. Die Kolleg*innen sorgen dafür, dass sich keine Menschenansammlungen  bilden. Unsere Gänge sind sechs Meter breit, man kann sich da gut verteilen und Abstand halten. Und man wird Maske tragen
müssen. Das ist in Deutschland momentan so vorgeschrieben.

 

Ich habe gehört, das Geschehen in den Messehallen wird auch per Video überwacht?

Boos – Wir haben seit einigen Jahren eine Sicherheitszentrale auf dem Gelände, diese wird in diesem Jahr stärker besetzt. Wir hatten schon immer am Samstag das Problem mit übervollen Rolltreppen, die mussten wir teilweise wegen Überlastung abstellen. Durch das Monitoring in der Sicherheitszentrale können wir Menschenansammlungen schnell entgegenwirken.

 

Wie sieht es ausstellerseitig aus? Kommen ­weniger?

Boos – Das muss man differenziert betrachten. Die deutschsprachigen Publikumsverlage sind fast alle da. Bei den Anmeldungen ­sehen wir noch viel Bewegung. Wir haben jetzt Aussteller*innen aus 66 Ländern und 41  Länderstände. Wir werden also auch dieses Jahr sehr international sein. Was uns tatsächlich fehlt, sind die Aussteller*innen aus Nordamerika und England. Viele Unternehmen schicken Mitarbeiter*innen, die schon auf dem Kontinent sind. Für die Nordamerikaner besteht das Problem nicht darin, nach Frankfurt zu kommen. Das Problem ist die Rückkehr. Die USA haben sich komplett abgeriegelt.

 

Das ist für das Lizenzgeschäft suboptimal, oder?

Boos – Natürlich. Deutsche Verlage kaufen sehr viele Rechte aus dem englischsprachigen Raum. Das ist immer noch eher eine Einbahnstraße. Auf der anderen Seite sind die Agent*innen nicht in Konzernstrukturen eingebunden, deshalb fällt es ihnen etwas einfacher zu reisen.

Jenny Kühne – Auch wenn uns ein paar aus dem englischsprachigen Raum fehlen, der Lizenzhandel zwischen Spanien, Frankreich, Italien oder den nordischen Ländern ist auch sehr wichtig.

 

Findet der Rechtehandel denn überhaupt noch auf der Buchmesse statt oder hat der sich mittlerweile, auch wegen der ausgefallenen Messe 2020, verlagert?

Kühne – Früher wurden in Frankfurt tatsächlich die Verträge auf Papier vor Ort unterschrieben. Das ist schon seit einigen Jahren nicht mehr der Fall. Frankfurt ist vor allem ein Ort der Begegnung. In Frankfurt werden Kontakte geknüpft, man versucht zu verstehen, was der oder die andere sucht, in welche Richtung Programme entwickelt werden. Diese Begeisterung für Bücher und Stoffe steht viel mehr im Vordergrund. Natürlich werden in Frankfurt immer noch Deals abgeschlossen. Es kristallisiert sich immer ein „hot book“ heraus, das dann in Frankfurt beispielsweise über Auktionen verkauft wird. Aber das passiert dann auch über E-Mail oder online. Dass dieser Austausch letztes Jahr fehlte, haben alle beklagt. Man kann seine Kontakte das ganze Jahr über online pflegen, und z. B. über unsere Rechtehandelsplattform Frankfurt Rights auch neue Geschäftspartner kennenlernen. Aber das ersetzt trotz allem nicht die persönliche Begegnung. Auch nicht den Klatsch und Tratsch.

 

Merkt man diesen Ausfall auch geschäftlich? Wenn die Messe heuer wieder nur digital stattfinden könnte, wäre das geschäftlich ­bedrohlich?

Kühne – Die Pandemie an sich ist schlecht für das Geschäft. Viele Verlage haben wegen der Pandemie ihre Programme verschoben, viele Publikationen vom Frühjahr in den Herbst oder ins nächste Frühjahr. Da staut sich einiges auf. Auf der anderen Seite sind die Umsätze vieler Verlage während der Pandemie gestiegen, weil die Menschen die Lust am Lesen wiederentdeckt haben. Im Rechtehandel wird man etwaige negative Auswirkungen wohl erst verzögert spüren. Aber das hat nicht mit dem Ausfall der Frankfurter Buchmesse per se zu tun. Der Ausfall der physischen Messe war natürlich besonders für die Newcomer ein Problem, die sich mal einen Überblick verschaffen wollten.

 

Rechnet sich so eine abgespeckte Messe überhaupt noch?

Boos – Auch diese reduzierte Frankfurter Buchmesse ist immer noch die größte der Welt. So wie wir das jetzt planen, und mit der großzügigen Unterstützung aus Mitteln des NEUSTART Kultur Programms der Bundesregierung, rechnet sich das. Ich wollte noch etwas zum Rechtegeschäft ergänzen: Wir beobachten, dass die Pandemiesituation die Konzernverlage stärkt. Das ist das Dilemma. Für die Großen reisen die Leute noch, die bekommen ihre Termine. Aber es kommen keine neuen Leute dazu. Zu den kleinen Verlagen wird dann eher nicht gereist, weil der Aufwand zu groß ist. Darunter leidet die Vielfalt. Und von der leben wir letztendlich. Dadurch wird die Konzentration noch stärker. Unser Herz schlägt für die kleinen, unabhängigen Verlage, mit vier, fünf Angestellten. Die müssen wir erhalten, das ist unser Rückgrat. Auch dafür ist die Frankfurter Buchmesse da.

 

Wird es heuer noch die berühmten Partys ­geben?

Boos – Ja, es wird im Umfeld der Messe auch Veranstaltungen geben. Ich habe schon mehrere Einladungen von Verlagen erhalten. Die Empfänge werden sicher in einem etwas kleineren Rahmen stattfinden, da wird keiner ein gesundheitliches Risiko eingehen. Soweit ich weiß, wird auch der HVB wieder seinen Österreich-Empfang veranstalten.

 

Auf alle Fälle! Wird sich die Messe verändern?

Boos – Die Frankfurter Buchmesse verändert sich ständig, auch ohne eine Pandemie. Jede Messe ist anders, mal mehr, mal weniger politisch, zum Beispiel. Sie wird auf jeden Fall ein Literaturfest bleiben, ein Ort, an dem sich die Branche feiert. Und der B2B-Bereich wird sich weiter konzentrieren.

 

Werden die Cosplayer wieder in ihren Kostümen herumziehen?

Boos – Die Deutsche Cosplay Meisterschaft wird in diesem Jahr nicht bei uns stattfinden, und so werden sicher auch weniger Cosplayer*innen auf dem Gelände unterwegs sein. Was ich sehr bedauere, sie waren doch immer ein sehr belebendes Element. Eine gewisse Ernsthaftigkeit ist dieses Jahr schon geboten. Auf der anderen Seite haben wir durchaus etwas zu feiern. Unsere Branche hat sich als recht krisenfest erwiesen.

 

Hat es durch Corona einen Digitalisierungsschub in der Branche

gegeben? In anderen, wie zum Beispiel dem Tourismus oder dem Bildungssystem, war das ja durchaus so.

Boos – Die Branche war auch vor Corona digital sehr gut aufgestellt. Da gab es diesen Aufholbedarf nicht. Audiobooks sind schon vorher durch die Decke gegangen. Grundsätzlich ist unsere Art zu kommunizieren sicher digitaler geworden durch die Videokonferenzen. Auch wie die sozialen Medien genutzt werden, das hat sich schon vorher extrem entwickelt. Es gibt keinen Verlag mehr, der da nicht Präsenz zeigt. Von den Reisebüros sind viele verschwunden, von den Buchhändlern keiner. Die haben sich sehr schnell auf die veränderte Situation eingestellt, mit Lieferservice und so weiter. Einen Onlineshop hatten sie meistens schon. Zum Teil nutzen sie auch das Infrastrukturangebot der Sortimenter und Zwischenhändler.

Kühne – Die Pandemie hat sich vor allem auf die Literatur- und Kulturveranstalter ausgewirkt: Viele Lesungen und Literaturfestivals, und auch die Frankfurter Buchmesse 2020, waren plötzlich digital und konnten von überall aus der Welt verfolgt werden. Das hat unsere Reichweite immens erhöht. Das ist zum Standard geworden und wird sicher auch so bleiben. Wenn früher 30 Leute bei einer Buchvorstellung waren, sind das jetzt 300 oder noch viele mehr, die sich von überall dazuschalten. Woran alle arbeiten, ist die Monetarisierung von digitalen Veranstaltungen. Das gilt auch für unser Fachprogramm, das in diesem Jahr auch hybrid angeboten wird. Da sind wir zwar immer noch im Versuchsstadium und lernen aus den Erfahrungen des letzten Jahres. Vieles wird jetzt auch bewusst eine Woche vor der Messe stattfinden, weil dann die Leute noch Zeit dafür haben (siehe Kasten).

 

Hat die Pandemie zu einem Schub bei den dümpelnden E-Books geführt?

Boos – Nicht wirklich. Wenn überhaupt, dann gab es, verglichen mit dem Gesamtmarkt, nur geringe Steigerungen. Downloads von E-Books sind eher zurückgegangen. Das Streaming hat zugelegt, die Abomodelle, aber das betrifft hauptsächlich Audiobooks. Die Leser*innen haben sich lieber gedruckte Bücher bestellt. Aber im Fachbuch- und im Ratgebersegment wird das E-Book weiterhin eine Rolle spielen. Das gilt besonders für den amerikanischen Markt. Bei der Belletristik eher nicht.

 

Das ist ja vielleicht auch ganz gut so …

Boos – Für den stationären Buchhandel auf alle Fälle. Auch für die Autor*innen. Wir kennen das ja aus der Musikindustrie. Da verdient man als Musiker*in nur Bruchteile von Cents am Streaming. Wir müssen aufpassen, dass das nicht im Buchmarkt auch so wird. Da sind wir aber besser aufgestellt als in der Musikindustrie, vielleicht auch durch die Agenten, die schon darauf schauen, dass vernünftige Verträge abgeschlossen werden. Viele Autor*innen gehen ja auch für ihr Audiobook zu anderen Verlagen als für ihr gedrucktes Buch.

 

(c) Georg Feierfeil
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