anzeiger 7/8/2022 – Klimaschutz für die Kleinsten

Spätestens seit der „Fridays for future“-Bewegung ist das Thema Klimaschutz auch in der Kinder- und Jugendliteratur angekommen.

Text: Klara Sonnenschein

Greta Thunberg. Sie kämpft gegen Monster und Bösewichte. Hinter ihr versammelt sich eine hilfreiche Schar, die „Fridays for Future“-Bewegung. Wie der junge Zauberer Harry Potter will sie sich von den Mächten der Finsternis nicht überwältigen lassen und ihnen die Welt entreißen. Mächtig sind ihre Feinde und gewaltig ist die Bedrohung … Wäre der Kampf gegen die Klimakrise Fiktion, würde er großartigen Stoff für eine Saga der Kinder- und Jugendliteratur bieten. Im Gegensatz zu Kämpfen gegen Orks und Drachen ist diese Bedrohung allerdings real. Mit Greta Thunberg wurde erstmals eine jugendliche Stimme in den Medien laut, die sich deutlich gegen die Klimakrise aussprach. Tausende Kinder und Jugendliche hörten zu und schlossen sich ihr an. Nachhaltigkeit und Umweltschutz sind heute Trendthemen, auch in der Buchbranche.

Heute rettet Rotkäppchen den Wolf

Nicht nur Autor:innen und Verlage, auch Institutionen wie die 1976 gegründete Deutsche Akademie für Kinder- und Jugend­literatur greifen das Thema auf. Seit elf Jahren zeichnet sie monatlich ein Klima-, ein Umwelt- und ein Natur-Buch aus, das sich dem Thema Nachhaltigkeit in erzählerischer Weise widmet. Ihr Buchtipp für den Juni lautet „WErde wieder wunderbar – 9 Wünsche fürs Anthropozän“ von Melanie Laibl, in der Edition Nilpferd des G&G Verlags erschienen. In diesem Bildersachbuch wird Kindern ab acht Jahren nähergebracht, was getan wurde und was noch getan werden muss, um unsere Erde zu retten.

„Umweltschutz ist nichts, was nur eine Generation beschäftigt, geschweige denn von ihr allein gelöst werden kann“, sagt Verleger Georg Glöckler, Gründer des G&G Verlags. „Auch junge Menschen engagieren sich dafür. Sie nutzen dazu soziale Medien, sind damit besser vernetzt und in der Öffentlichkeit präsenter. Diese erhöhte Sichtbarkeit ist von unschätzbarem Wert: Man kann dadurch in kürzerer Zeit viel mehr Menschen erreichen und für Umweltthemen begeistern.“

Die Buchbranche, so Glöckler, müsse, um junge Menschen zu erreichen, die Umweltthemen altersgemäß, respektvoll und klar vermitteln. Ohne zu beschönigen, und zugleich müsse sie Mut machen sowie den Blick auf das „Machbare“ lenken. Am besten gelinge das auf spannende, unerschrockene und „gut sortierte“ Art und Weise.

Als aktuellen „Natur-Buchtipp“ empfiehlt die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur „Rotkäppchen rettet den Wolf“ von Petra Piuk, 2022 im Leykam Verlag
erschienen. In der Geschichte ist Rotkäppchen Naturschützerin, die erfährt, dass der Bürgermeister den Wald roden und stattdessen ein neues Einkaufszentrum bauen möchte. Sie setzt sich für die Rettung der Tiere ein und soll für Kinder ab sechs Jahren einen Appell darstellen, sich zu engagieren.

„Unser Ansatz bei Leykam ist es, die Faszination für die Natur und die Tierwelt zu entfachen“, sagt die Verlegerin Tanja Raich. „Um dann in weiterer Folge auf die Probleme hinzuweisen: auf das, was Kinder und Jugendliche in ihrem Alltag für die Umwelt tun können. So enthält ,Rotkäppchen rettet den Wolf‘ beispielsweise eine Anleitung zum Basteln von Demonstrationsschildern. Mithilfe von Mitmachaufgaben wollen wir die Kinder vom Buch hinaus in die Realität lotsen, sie zu eigenständigem Denken und Handeln anregen und ihren Blick für unsere Umwelt öffnen.“

Die Programmleiterin im Tyrolia Verlag, Katrin Feiner, meint, es sei wichtig, dass sich ein Verlag nicht zu sehr auf „Weltrettungs-bücher“ versteift: „Viele Veröffentlichungen widmen sich inhaltlich dem, was Jugendliche und Kinder selbst leisten können, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Zuweilen wird ihnen dabei eine vielleicht zu große Verantwortung umgehängt. Wir bemerken hie und da eine gewisse Sättigung.“ Daher versucht man im Tyrolia Verlag, das Thema breiter anzugehen und etwa die Faszination und das Verständnis für das „Wunder Welt“ zu wecken.

Feiner ist überzeugt, dass die große Kunst darin liegt, komplexe Zusammenhänge so für Kinder aufzubereiten, dass sie verständlich, aber nicht banal werden. „Kinder sind weder die großen Heilsbringer noch tragen sie die Verantwortung für den heutigen Zustand der Welt.“ Es sei daher wichtig, das in Büchern zugemutete Wissen an die Lebensrealität, das Weltwissen und die Wirkungsmacht der Zielgruppe anzupassen, um nicht zu über- oder zu unterfordern oder gar Zukunftsängste zu evozieren.

Als Beispiele für einen jugendgerechten Ansatz nennt sie Fragen wie: Was hat das Land Bangladesch mit meinem T-Shirt zu tun? Und warum genau hält der Igel einen Winterschlaf? Es sei eben zu überdenken, welche Information ein Buch zum Thema Nachhaltigkeit geben soll: „Zusammenhänge und die Einordnung in das große Ganze sind wichtiger als die Aufzählung von Daten und Fakten.“

Nachhaltigkeit: vor allem ein Thema für die Schule?

Greta Thunberg und der „Fridays for Future“-Bewegung ist es gelungen, die Aufmerksamkeit für Klima- und Umweltschutz bei Jugendlichen zu erhöhen. Die Onlinebefragung „Jugend.Macht.Klima!“, die im Frühjahr 2020 unter österreichischen Oberstufenschüler:innen von Klima- und Energiefonds gemeinsam mit der Österreichischen Energieagentur durchgeführt wurde, bestätigt diesen Eindruck. Neunzig Prozent der dort befragten Schüler:innen denken, dass die „Fridays for Future“-Bewegung dazu beigetragen hat, den Stellenwert von Klima- und Umweltschutz bei Jugendlichen zu verstärken.

„Aus unserer Arbeit mit Schulen in Österreich wissen wir, dass im Unterricht die Themen Klima- und Umweltschutz verstärkt Einzug finden“, sagt Lydia Grünzweig vom Österreichischen Buchklub der Jugend. Dieser sieht sich als Vermittler zwischen Buchmarkt und Schule: So wird gezielt eine Auswahl von Titeln angeboten und dazu ein didaktisches Umfeld für Bücher erarbeitet, das es Pädagog:innen ermöglichen soll, die empfohlenen Bücher im Unterricht einzusetzen. „Pädagog:innen bedienen sich gern des Buchmarktes, weil seine Bücher oft attraktiver aufbereitet sind als Lehrbücher. Sie bieten Kindern ein Schauerlebnis, was letztlich auch die Lesefreude und die Bereitschaft, sich auch mit komplexen Materien auseinanderzusetzen, erhöht“, sagt Grünzweig.

Ihren großen und kleinen Kund:innen bietet Lucia Kirchner-Krämer in ihrer Stockerauer Buchhandlung schon seit Langem ein umfangreiches Kinderbuchsortiment. Die mancherorts lauter werdende Klage der Branche, wonach Bücher für Jugendliche ein Ablaufdatum in puncto Informationsvermittlung haben, teilt sie nicht. „Wir haben den Nachhaltigkeitsthemen eigene Regalmeter gewidmet.“ Allerdings würden diese Themen verglichen mit belletristischen Titeln in ihrer Buchhandlung selten nachgefragt.

Die Käufer:innen seien Lehrer:innen, kaum jemals Eltern. „Die meisten Bücher zum Thema Umwelt verkaufen wir bei Buchausstellungen an Schulen.“ „Checker Tobi: Klima, Wald, Wasser“ (cbj) sei etwa bei einer Volksschulausstellung ein häufig bestelltes Buch gewesen. Für die Kleinsten verkaufen sich am besten Bücher in Verbindung mit Bekanntem, etwa Reihen wie „Die kleine Hummel Bummel schützt die Umwelt“ (ars edition) oder „Conni kümmert sich um die Umwelt“ aus dem Carlsen Verlag. Ältere Kinder würden eher zu Büchern mit interaktiven Elementen greifen.

Aktivismus mit Social Media statt Büchern

Was die geringe Nachfrage betrifft, unterscheiden sich Land- und Stadtbuchhandlungen kaum, wie auch die Morawa-Filiale in der Wiener Wollzeile zeigt. „Vor allem im Sachbuchbereich ist der Themenkreis Umwelt/Umweltschutz/Nachhaltigkeit angekommen. In den Warengruppen Belletristik und vor allem bei den Comics hinkt dieses Thema allerdings noch ordentlich hinterher“, sagt Filialleiter Franz Lindl. Eltern würden sich, wenn überhaupt, für Vorschulsachbücher interessieren. Empfehlenswert sei in diesem Bereich „Unser Leben und wie alles in der Natur zusammenhängt“ (Carlsen). Der Titel bringe ganz jungen Leser:innen Naturschutz und die Gefahr aussterbender Tier- und Pflanzenarten näher. Trotz steigender Nachfrage sei die Thematik im Kinder- und Jugendbuchbereich jedoch noch nicht absatz- und umsatzrelevant.

„Jugendliche informieren sich vorrangig über Social Media und Onlinemedien“, erklärt Lydia Grünzweig vom Österreichischen Buchklub der Jugend. „Hier spielt das Buch als Informationsquelle eine untergeordnete Rolle.“ Die erwähnte Studie hat allerdings ergeben, dass sich 62 Prozent der Oberstufenschüler:innen mehr zu Klimaschutz im Unterricht wünschen. An Interesse fehlt es also nicht.

Bei Kindern im Volksschul- und Kindergartenalter, die sich noch nicht eigenständig im Netz informieren, würden sich Sachbücher oder Bücher mit narrativem Charakter zum Thema Umwelt und Klima eignen, um Neugierde zu wecken, am Thema zu arbeiten und über das Gelesene zu sprechen und zu reflektieren. „Aus der Zusammenarbeit des Buchklubs mit den Bildungseinrichtungen in Österreich wissen wir, dass dies im Kindergarten oder der Volksschule oft so umgesetzt wird“, sagt Grünzweig. „Das Buch wird als Basis oder Unterstützung im Unterricht, für Klimaprojekte oder Umweltschutzwochen genutzt. Ob genau solche Bücher dann auch zu Hause im Regal landen, liegt vermutlich auch ganz stark an der Einstellung der Familie zu diesem Thema beziehungsweise im gelebten Alltag.“

Bücher am Komposthaufen als Erde für Tomatenpflanzen

Wie verhält es sich mit Büchern, die nicht nur im erzählenden Bereich das Thema Nachhaltigkeit behandeln, sondern die selbst tatsächlich nachhaltig hergestellt wurden?

„Ob Bücher nachhaltig produziert werden, ist bei unseren Kund:innen überhaupt kein Thema“, sagt die Buchhändlerin Kirchner-Krämer. „Bücher sind in ihrer Wahrnehmung kein Wegwerfprodukt und damit per se eher nachhaltig. Werden Bücher explizit nachhaltig produziert, werden sie von unseren Kund:innen nicht anders wahrgenommen als andere Papp-Kinderbücher. Wir wurden noch nie darauf angesprochen, ob Bücher etwa mit dem deutschen Umwelt­zeichen ,Blauer Engel‘ zertifiziert sind.“

Auch Franz Lindl von der Morawa-Filiale in der Wiener Wollzeile meint, dass nachhaltige Produktion in der Vielzahl an Publikationen bislang eine untergeordnete Rolle spiele.

Eine bekannte Methode, um nachhaltige Buchproduktion zu ermöglichen, ist die „Cradle to Cradle“-Produktion. Bei diesem Verfahren werden schädliche Substanzen vermieden und erneuerbare Energiequellen genutzt. So wird etwa beim Drucken Ökostrom eingesetzt und ausschließlich regional produziert. Auch kommen nur Farben auf Pflanzenölbasis zum Einsatz. Geprüft werden diese Parameter durch externe Umweltlabore und unabhängige Expert:innen.

Einer der Verlage, der seine Titel seit Jahren nach diesem Prinzip herstellt, ist der KOSMOS Verlag. „Der Klima- und Umweltschutz ist die große Jahrhundertaufgabe der Menschheit. Wobei man sagen muss, dass gerade bei unseren Kinder-Pappbilderbüchern, die wir im Cradle-to-Cradle-Verfahren herstellen, unsere Deckungsbeiträge leiden“, erklärt Birgitta Barlet, Verlagsleiterin Buch bei KOSMOS. Trotzdem sei es eine Investition, die sich langfristig bezahle mache, ist sie sich sicher. Wichtig sei es, stets auf dem aktuellen Stand zu sein, meint Eva Schmidt von der Herstellungsleitung Buch bei KOSMOS. 2020 stand das Thema „Leime, Lacke und Farben“ und 2021 „Herkunft und Erzeugung des Papiers“ im Fokus der Produktions­entscheidungen. „Im Zuge einer großen ­Neuausschreibung unter den Druckereien haben wir ihre Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit abgefragt. Die Ergebnisse waren für die Vergabe der Druckvolumen relevant.“

Auch der österreichische Kinder- und ­Jugendbuchverlag Fairyland arbeitet nach Cradle-to-Cradle-Prinzipien. Die Vorteile laut Geschäftsführerin Carolyn Magerle: Klima- und Umweltschutz und das Fehlen giftiger Inhaltsstoffe. „Theoretisch kann man unsere Bücher auf den Komposthaufen werfen und die Erde, die daraus entsteht, für Tomatenpflanzen verwenden“, sagt sie schmunzelnd.

Warum nicht mehr Kinder- und Jugendbuchverlage nachhaltig produziert werden, erklärt Magerle so: „Man ist in der Produktion leider nicht so flexibel, weil nicht alles Cradle-to-Cradle-zertifizierbar ist.“ So sei die Auswahl an nachhaltig produzierten Papieren klein, die Veredelung müsse ohne Heißfolienprägungen oder UV-Lack auskommen: „Wir können die Aufmerksamkeit der Leser:innen nicht mit Glanz und Glitzer am Cover erhaschen.“ Bei den Fabelflug-Chroniken von Claudia Aichholzer etwa habe man sich im Verlag für eine aufwendige Blindprägung entschieden, was sich deutlich auf die Kosten niederschlage.

Auch ohne sich explizit der nachhaltigen Produktion zu widmen: Alle befragten Verlage legen Wert auf einen klimaneutralen Druck der Bücher, die nicht mehr hauptsächlich in Plastik eingeschweißt werden. Doch hohe Produktions- und Versandkosten, niedrige Ladenpreise und immer geringere Margen machen die Nachhaltigkeit für die Branche schwer. Auch junge Klimaschützer:innen sind sich dieser Probleme bewusst. Genau dagegen kämpfen sie.

(c) Georg Feierfeil
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